D2006, R: Andres Veiel, Da: Susanne-Marie Wrage, Markus Lerch, 85 min, ab 12 Jahren
In einem brandenburgischen Dorf töten im Juli 2002 zwei Jugendliche den 16-jährigen Marinus Schöberl nach stundenlanger Quälerei. Die Täter kannten ihr Opfer, die Leiche wurde vier Monate später in einer Jauchegrube gefunden. Der Dokumentarfilmer Andres Veiel und die Dramaturgin Gesine Schmidt wollten mehr über die Hintergründe und Umstände der Tat erfahren. „In den meisten Debatten wurden die Täter in einen Monsterkä?g gesperrt. Ich wollte sie da von Anfang an herausholen. Wir müssen uns die Täter als Menschen vorstellen. Wir geben ihnen eine Biografie. Das ist die eigentliche Provokation“, sagt der 1959 in Stuttgart geborene Andres Veiel, der mit seinen Dokumentarfilmen gerne heikle Themen aufgreift wie den Mord an Alfred Herrhausen in BLACK BOX BRD (2000/2001) oder die Hinter- und Beweggründe für die Selbstmorde von dreien seiner ehemaligen Mitschüler in DIE ÜBERLEBENDEN (1994-1996).
Auf der Grundlage von Vernehmungsprotokollen, Gerichtsakten und Interviews schrieben Veiel und Schmidt für DER KICK ein dokumentarisches Theaterstück, das die Tat nicht erklärt, sie aber in einen sozialen, historischen und familiären Zusammenhang stellt. Eine Schauspielerin und ein Schauspieler stellen die etwa 20 Rollen dar: die Täter, ihre Eltern, die Mutter des Opfers, der Bürgermeister, der Pfarrer und andere kommen zu Wort. Der Film folgt der Inszenierung des Theaterstücks, verstärkt jedoch durch Naheinstellungen und Geräusche die beklemmende Atmosphäre. Jenseits unmittelbarer Reflexe löst der Film einen Prozess der Erkenntnis aus, der nach den Ursachen der Gewalt fragt. Die antinaturalistische Reduktion der filmischen Mittel macht hör- und wahrnehmbar, was unerträglich und unfassbar scheint: eine seelische Verwahrlosung, eine Empfindungslosigkeit und Gewaltbereitschaft, die eine ihrer Wurzeln in der fehlenden Perspektive der Dorfbewohner hat. Über die monströsen Handlungen der Täter hinaus werden Resignation, Abstumpfung und Verbitterung spürbar, eine alltägliche Entzivilisierung, die den Hintergrund für ihre Taten bilden.
Über Andres Veiel
Andres Veiel, geboren am 16. Oktober 1959 in Stuttgart, studierte ab 1982 in West-Berlin Psychologie und schloss das Studium 1988 mit einem Diplom ab, hatte sich jedoch bereits entschieden, nicht als Psychologe arbeiten zu wollen. 1985 bis 1989 absolvierte er eine Regie- und Dramaturgie-Ausbildung am Berliner Künstlerhaus Bethanien, wo er auch Kurse bei Krzysztof Kieslowski belegte – eine Begegnung, die ihn nach eigener Aussage besonders prägte.
Im April 2005 wurde das dokumentarische Theaterstück „Der Kick“ uraufgeführt, das Veiel gemeinsam mit der Dramaturgin Gesine Schmidt schrieb und das basierend auf zahlreichen Interviews den grausamen Mord an einem Jugendlichen in Brandenburg rekonstruiert. Das Stück wurde an mehr als 30 deutschsprachigen Bühnen gespielt und in sieben Sprachen übersetzt. Ebenfalls unter dem Titel „Der Kick“ erstellte Veiel 2006 eine Filmversion des Stücks. Für sein Buch „Der Kick. Ein Lehrstück über Gewalt“ wurde Veiel 2008 mit dem Jugendliteraturpreis in der Sparte Sachbuch ausgezeichnet.